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Kunden wollen mit Menschen sprechen, nicht mit Robotern

Veröffentlicht am 04.09.2018
Interessanter Artikel aus der www.welt.de Original hier

Viele Unternehmen betrachten digitale Lösungen als wichtigsten Faktor des Unternehmenserfolgs. Deshalb sind neue Effizienz-Werkzeuge wie Chatbots meist im Fokus der Zukunftsstrategie. Das Problem ist: Die Kunden machen da nicht mit.

 
Unternehmens-Hotlines sorgen oft für Ärger – vor allem wenn ein Computer am anderen Ende ist    Foto von: Quelle: picture-alliance

Ich gehöre zu denen, die den Chatbots (sprachgesteuerte Computersysteme statt echter Menschen am Telefon) den Kampf angesagt haben. Wenn es irgendwie vermeidbar ist, wähle ich überhaupt keine Hotline-Nummern. Meist taugen die nämlich ohnehin nur als Schnellmaßnahme gegen niedrigen Blutdruck. Wenn es mal gar nicht anders geht, unterwandere ich aus Prinzip die Effizienzbemühungen des Unternehmens. Egal, was mein Anliegen ist: Ich wähle grundsätzlich die Nummer im Sprachmenü, die mich direkt zu einem Mitarbeiter bringt.

Das Problem ist nur: Die Mitarbeiter, die Unternehmen an ihre Hotlines setzen, sind in der Regel ungefähr genauso umfangreich befugt und ungefähr genauso gut programmiert, also: ausgebildet und involviert wie der Chatbot selbst – nämlich gar nicht.

Deshalb schreie ich sie, im Gegensatz zur Computerstimme, auch nicht an. Mir tun sie leid. Denn der Fehler liegt nicht bei ihnen; er liegt bei der Unternehmensführung. Die Hotline-Androiden sind die Sündenböcke unserer Zeit: Sie müssen den Frust der Kunden über die misslungene Effizienzpolitik ausbaden.

 

Sichtbar wird die vor allem an der Oberfläche eines Unternehmens – am Schnittpunkt mit dem Kunden. Ausgerechnet da, wo das Kundenerlebnis geprägt wird. Das Problem aber dringt viel tiefer. Es liegt in der Effizienzgläubigkeit der analogen Systeme, die die Digitalisierung als Hilfsmittel zum Streamlining missverstehen und statt nervigen Prozessen lieber Mitarbeiter und Kundenbegegnungen wegrationalisieren.

 

Eine aktuelle Studie von PwC zeigt, dass man die digitale Welt kaum gründlicher missverstehen kann. Denn wenn es eines gibt, das Kunden noch viel mehr frustriert als ein schlechter Mitarbeiter, dann ist es: kein Mitarbeiter.

Das System juckt die Kunden nicht

 

Die Chatbots sind nur eines von vielen Beispielen für einen weitverbreiteten Irrglauben: Je mehr Technik wir ins System pumpen, desto besser wird unser Unternehmen funktionieren, und desto erfolgreicher werden wir sein. Erfolg wird in vielen Unternehmen noch immer mit Effizienz gleichgesetzt: Kosteneinsparung gleich Gewinnmaximierung.

Für Führungskräfte, die auf dieser Straße unterwegs sind, bietet die Digitalisierung natürlich Vorlagen ohne Ende. Das gilt gerade an der Oberfläche, wo digitale Lösungen den unliebsamen, weil schwer planbaren und oft wenig effizienten menschlichen Kundenkontakt ersetzen können. Verkaufspersonal? Brauchen wir nicht, macht ein Chip im Smartphone. Kundenberatung? Brauchen wir nicht, machen die YouTuber. Check-in? Brauchen wir nicht, macht ein Roboter. Hotline-Mitarbeiter? Brauchen wir nicht, macht ein Chatbot.

Dumm nur, wenn die Kunden da nicht mitspielen.

Was jeder ahnt, der mit einer dieser Lösungen an der falschen Stelle schon mal als Kunde in Berührung gekommen ist, weist die Studie von PwC nun nach. Es ist nicht die erste, aber die Ergebnisse sind besonders eindrücklich: Das Kundenerlebnis steht und fällt auch weiterhin mit dem menschlichen Kontakt.

 

Die wichtigste Zahl aus dieser Studie ist in meinen Augen jene, die zeigt, wie groß die Sehnsucht nach echten Menschen im Kontakt mit Unternehmen schon heute ist – und dabei fängt die Digitalisierung in vielen Firmen gerade erst richtig an. Ganze 75 Prozent (!) der Kunden wünschen sich wieder mehr menschliche Interaktion, wenn sie mit einem Unternehmen kommunizieren. Genauso bedeutsam ist die Erkenntnis: Nur knapp ein Drittel würde sich im Zweifel für den Anbieter mit der besseren Technologie entscheiden. Im Zweifel …

 

Eine weitere Zahl, die den effizienzsüchtigen Streamline-Digitalisierern zu denken geben sollte, ist die nach den Folgen eines miserablen Kundenerlebnisses. Für 60 Prozent der Kunden sind bereits wenige schlechte Erlebnisse Grund genug, um sich von einem Unternehmen abzuwenden.

Wenn die Menschen gehen müssen, gehen auch die Kunden. Die vermeintlich reibungslos laufende Maschine des Systems interessiert sie nämlich nicht. Die Kunden kaufen nicht das System; sie kaufen ein Erlebnis. Für das System interessieren sie sich nur in einem Fall: wenn es nicht funktioniert.

Die menschliche Ebene wird zur Resterampe

Digitale Modelle wie die Chatbots, die Robotermitarbeiter und die online ausgelagerte „Beratung“ durch externe Kanäle lassen den Eindruck entstehen, dass in vielen Unternehmen der Service zur Resterampe wird. Die menschliche Begegnung, wo das meiste Begeisterungspotenzial liegt, wird der digitalen Effizienzgewinnung untergeordnet. Mitarbeiter müssen „nur noch“ das machen, was sich nicht auf Biegen und Brechen digital verschlanken lässt.

Richtig wäre es umgekehrt: Erfolg geht auch in Zukunft nur mit den Kunden, und die wollen den menschlichen Kontakt. Deshalb gehört jede Digitalisierungsstrategie in eine übergeordnete Servicestrategie eingebunden – nicht umgekehrt. Wer seine Kunden vergrault, kann noch so effizient sein – wo niemand mehr kauft, kann man auch keine Gewinne maximieren.

Ein Kunde, der sowieso nur noch digital abgefertigt wird, kann auch gleich online kaufen, buchen oder dem Affiliate Link des YouTubers folgen, von dem er sich „beraten“ lässt. „Im Zweifel“ gehen die Kunden lieber zur digitalen Konkurrenz als zu einem Unternehmen, das sein wichtigstes Alleinstellungsmerkmal vernachlässigt: die leibhaftige Kundenbegegnung.

 

Es gilt nicht, die Menschen wegzudigitalisieren, sondern das System – im Sinne der Prozesse, die für den Kunden sichtbar sind. Die nerven. Und ein Chatbot, ein Interface oder ein Roboter, wo eigentlich ein Mensch hingehört, ist nichts anderes als ein weiterer, nerviger Prozess.

Der Autor ist Managementberater, Unternehmer und BILANZ-Kolumnist.